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From: gbabelo <123087977+gbabelo@users.noreply.github.com>
Date: Wed, 21 May 2025 14:01:29 +0200
Subject: [PATCH] 25
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@@ -527,34 +527,22 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
Hier haben Sie wieder ein Blättgen mit einer Hypothese. Untersuchen Sie sie, halten Sie sie an den Probierstein der Wahrheit – Der menschliche Verstand muß von der höchsten Wahrscheinlichkeit zur Wahrheit übergehen; ich habe zu dieser schärfern Untersuchung keine Zeit – auch keine Fähigkeit, ich überlasse sie Ihnen. Sie sagten in Ihrem letzten Briefe, Gott thue alles zu unserer Besserung mittelbar und könne dazu nicht unmittelbar in uns wirken. Ich bin Ihrer Meinung, doch nur in einer gewissen Einschränkung. Sie sollen sie sogleich hören.
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Leibnitz, da er den Ursprung des Bösen mit der höchsten Güte Gottes reimen will, hält viel auf diese unmittelbare Einwirkung, oder Einfluß der Gottheit, welchen er eine immerfortwährende Schöpfung nennt. Er vergleicht ihn einem Strom, der seinen Lauf hält, die Freyheit des Menschen aber einem Boot auf diesem Strom, das, je nachdem es schwerer oder leichter beladen, langsamer oder geschwinder auf demselben fortgeht. Da die Sünde eigentlich in einer Privation des Guten besteht und also die Quelle derselben nichts als Trägheit ist, die von unsern Fähigkeiten nicht den gehörigen Gebrauch machen will, so gleicht diese Trägheit der Last oder Schwere des Boots und kann die Schuld warum letzteres nicht so geschwinde fortgeht, nicht dem Strom, sondern dem Boot zugeschrieben werden. Man kann ihm aber, und mich deucht mit Recht, einwenden, warum der Strom nicht mit einer solchen Geschwindigkeit und Kraft fortfliesse, daß er die kleine Schwere des Boots überwinde und aufhebe? und da bleibt bei Zulassung des Bösen von Seiten Gottes immer dieselbe Schwürigkeit. Ich glaube weit sicherer zu gehen, wenn ich mich bei der einmal angenommenen Lehre von der Erhaltung Gottes (welche allerdings wahr ist), an dem Wort Erhaltung halte, und also keine fortwährende Schöpfung unter derselben verstehe. Fortwährend ist freilich ein Begriff, der der Gottheit angemessen ist, allein eine solche Schöpfung nicht. Wenigstens kann sich unser Verstand keine Schöpfung denken, die in Ewigkeit fortgeht, denn Schöpfung ist nach der einmal angenommenen Bedeutung des Wortes, eine Hervorbringung aus Nichts, die nur einen Augenblick währen könnte, nemlich den, da Gott sprach: Es werde! Bildung dieses Etwas, die kann fortgehen in Ewigkeit, aber nicht die unmittelbare Schöpfung. – Nun hat Gott uns gewollt, das heißt er hat uns geschaffen, als freywillige und selbstständige Wesen, versehen mit gewissen Kräften und Fähigkeiten, von denen wir einen Gebrauch machen können, welchen wir wollen, und wenn wir einen Einfluß Gottes in uns annehmen wollen (welches uns Vernunft und Offenbarung heißet, weil wir abhängige, geschaffene Wesen sind), so ist dieses kein anderer, als der allgemeine, den Gott in die ganze Natur hat, vermöge dessen er nach den ewigen Gesetzen der Natur, die in ihr gelegten Kräfte und Fähigkeiten unterstützt, erhält, daß sie nicht ins vorige Nichts zurückfallen. Wenn wir diese Handlung auch eine Schöpfung nennen wollen, so mag es hingehen, nur muß man alsdann die fortgehende Wirksamkeit Gottes von diesem Begriff absondern. Diese Einwirkung Gottes ist die allgemeine und wird schon in der Bibel, durch den mystischen Ausdruck angezeigt: der Geist Gottes schwebte auf den Wassern. Ich kann diese Stelle nicht anders erklären als: die allerhöchste Kraft Gottes unterstützte die in die Natur gelegten Kräfte, daß sie ihre ihnen beschiedenen Wirkungen hervorbringen konnten. Bei dieser Erklärung bleibt also Gott in Ansehung des Ursprungs des Bösen vollkommen gerechtfertigt. Wir konnten unsere Kräfte gebrauchen oder nicht, in der von ihm gesetzten oder in einer entgegen gesetzten Ordnung gebrauchen; er konnte nicht anders thun, als da er nach seiner Allwissenheit unsern Fall voraussah, ihm durch äußere Mittel zu Hülfe kommen. Hier ist das Geheimniß unsrer Erlösung, das in der That immer ein Geheimniß bleibt und wir ganz zu entziffern uns nicht unterziehen dürfen. So viel ist aber klar dabei, daß durch die Offfenbarung seiner Gnade in Christo Jesu, er nichts anders abzwecken will, als unsere Wiederherstellung in den Stand der Unschuld, welches gleichsam die weisse Tafel ist, welche hernach beschrieben werden soll, und aus diesem in den Stand der Glückseeligkeit, der Aehnlichkeit mit ihm, der höchsten Liebe zu ihm, und der höchsten Freude, die aus der zunehmenden Erkenntnis seiner Vollkommenheiten und der immer näheren Annäherung zu ihm fließt. Christus redt aber auch von einem Geist Gottes den Er uns senden will, der uns alles vollkommen lehren und unsere Freude vollkommen machen soll, den auch wirklich die Apostel in hohem Maß empfiengen. Dieses kann nicht anders erklärt werden, als durch eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit, die unseren natürlichen Fähigkeiten – wenn wir sie unermüdet recht anwenden – zu Hülfe kommt, doch allezeit in dem Grade, als es der höchsten Weisheit Gottes und der Uebereinstimmung der von ihm angerichteten Schöpfung angemessen ist. Die Wirkungen dieses Geistes sind vorzüglich: Der unerschütterliche Glaube an Gott, als die höchste Liebe (es mögen alle äusserlichen Anscheine auch dem zuwider seyn), an Christum, als den Vermittler dieser Liebe, der sie uns nicht allein kennen gelehrt, sondern auch in gewissem Sinn erworben; hernach eine aus diesem Glauben fliessende Liebe zu Gott, denn wer sollte den nicht lieben, von dem er glaubt, daß er ihn unendlich glücklich machen will und eine geschwinde Fertigkeit, dem von ihm erkannten Willen nach zu leben. Diese Wirkungen des Geistes Gottes müssen wir aber nicht mit Augen sehen wollen, oder darauf warten; sie sind Trost und Belohnung unserer guten Aufführung, auch Aufmunterung (dies scheint vorzüglich ihre Absicht), weil die menschliche Natur so viel Trägheit hat, daß sie in den allerbesten erlangten Fertigkeiten doch wieder müde wird, sie sind das complementum moralitatis und können uns in diesem ganzen Leben dunkel und unerkannt bleiben und uns dennoch ohne unser Wissen, forthelfen und glücklich machen, wie ein unbekannter Wohltäter, der einem Bettler Speise und Trank reichen läßt, ohne daß er weiß, wo es herkommt; genug er befindet sich wohl dabey und überläßt es der Zukunft ihm seinen Wohltäter zu zeigen, damit er ihm alsdann den Dank ins Gesicht sagen kann, den er jetzt für ihn in seinem Herzen behält.
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Ich gebe diese Hypothese, die noch dazu so roh und undeutlich ausgedrückt worden, als sie in meinem Verstande ausgeheckt ward, Ihnen hin, sie zu bearbeiten, alles zu prüfen und das Beste zu behalten. Wenigstens müssen wir doch suchen in die Ausdrücke der Bibel einen Sinn zu legen, der mit unserm Verstande übereinkommt; Geheimnisse bleiben immer Geheimnisse, doch müssen die Linien unserer Vernunft hineinlaufen und sich hernach drin verlieren, nicht aber eine Meile weit seitwärts vorbeygeführt, hernach mit Gewalt hineingebogen werden, welches eine krumme Linie geben würde.
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Um über eine so wichtige Materie mit der höchsten Aufrichtigkeit zu schreiben, muß ich Ihnen nur schreiben, daß ich bey meiner einmal angenommenen Erklärung der Lehre vom Verdienst Christi bleibe, und daß ich mir keine andere denken kann, die mit dem was die Schrift davon sagt und mit dem was unsere Vernunft von Gott und seinen Eigenschaften erkennt, übereinkommt. Lassen Sie uns sie nur deutlicher machen und Sie werden mir Recht geben.
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Was ist das Gute anders, als der gehörige und rechtmäßige Gebrauch, den wir von unsren Fähigkeiten machen? Und das Böse, als der unrechtmäßige übelübereinstimmende Gebrauch dieser Fähigkeiten, der, wie ein verdorbenes Uhrwerk, immer weiter im verkehrten Wege davon fortgeht; so wie der gute Gebrauch immer weiter in dem graden und richtigen Wege. Wir sind selbstständig – Gott unterstützt die in uns gelegten Kräfte, wie in der ganzen Natur, ohne sie zu lenken – Wir (sey es nun die Schuld einer uns angebohrnen Trägheit, die die Theologen Erbsünde nennen, oder des bösen Beyspiels, welche ich fast eher dafür halten möchte), wir brauchen die Fähigkeiten verkehrt. Gott kommt durch eine ganze Folgenreihe äußerer Mittel (welche ich Gnade nenne und wohin in der Jugend besonders die Tauffe und das Wort Gottes zu rechnen), wozu besonders auch die zeitlichen Umstände gehören, in die er uns versetzt.
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Wir hören nun, daß ein vollkommener Mensch gelebt hat, durch den sich Gott uns ehemals sichtbar geoffenbart und angekündigt hat; daß, wenn wir den rechten Gebrauch von unsern Fähigkeiten machen wollen, wir schon hier – und in Ewigkeit glücklich oder seelig sein sollen –; wir hören, daß, nach dem Ausdruck der Bibel, alle bisher begangenen Sünden der Menschen auf ihn gelegt werden, daß er sie trägt (was kann dies Anderes heißen, als daß alle üblen Folgen der Sünde auf ihn gelenkt worden? Darin bestand sein Leiden) – Wir sollen nur glauben, daß Gott uns um seinetwillen gnädig sei; dies soll uns also nicht mehr beunruhigen, nicht mehr zurückhalten an unserer Besserung mit allen Kräften unserer Seele zu arbeiten, weil das Alte alles vorbei und wir gleichsam jetzt neue Glieder an einem großen Ganzen sind, wovon der allervollkommenste Jesus das Haupt war (hieher geht eine gewisse geistliche Vereinigung vor, die mir im Abendmahl scheint zum Grunde zu liegen, denn wer wollte alle Geheimnisse der Religion ergründen?)
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Also, voilá tout. Wenn wir diese Hülfsmittel alle, die uns die Gnade darbeut, annehmen, bon ça, es soll nicht dabei bleiben; wir sollen einmal einer unmittelbaren göttlichen Einwirkung fä hig werden, die in der Bibel die Sendung des h. Geistes heisset, die uns Gott immer mehr erkennen und lieben lehren wird, die uns, wenn wir dazu reif, zum Anschauen Gottes bringen wird – aber dazu gehört freilich Zeit!
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-Lenz.
+Lenz.
Es scheint, daß Sie dazu gemacht sind, mir meine kleinen Systeme alle zu zerstören und zu schleifen. Kaum habe ich eine recht artige bunte Seifenblase vor dem Munde, so fahren Sie unbarmherzig drüber her und lachen mich aus, wenn ich stehe und den Kopf kratze. Ich muß Ihnen aber auch sagen, daß ich meine Kartenhäuser gern niederreißen lasse, weil in einer Stunde wieder ein neues da ist. An mir ist von Kindesbeinen an ein Philosoph verdorben, ich hasche immer nach der ersten besten Wahrscheinlichkeit, die mir in die Augen flimmert, und die liebe, bescheiden nackte Wahrheit kommt dann ganz leise von hinten und hält mir die Augen zu. Eine lange Kette von Ideen, wo eine die andere gibt, bis man, wenn man eine Weile gereist hat, die letzte find’t und sich seines Zieles freuen kann, ist für meine Seele eine wahre Sklavenkette – wie glücklich bin ich, wieder an Ihrer Hand zu gehen, wenn ich lange genug auf blumigten Wiesen herumgesprungen. –
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Welch’ ein Wust von Allegorien! kann ich doch nicht davor, daß meine Seele jetzt so gestimmt ist. Mein Hauptsystem bleibt dennoch unverrückt, und das ist freilich einfach genug, aber . darum für meine Seele zuträglicher, weil sie Pein empfindet, wenn sie sich lange bei Wahrheiten aufhalten soll. Und das ist dieß: es geht mir gut in der Welt und wird mir in Ewigkeit gut gehen, so lang ich selbst gut bin, denn ich habe dort oben einen sehr guten Vater, der alles was er gemacht hat, sehr gut gemacht hat – und wenn sich dies letztere mir nicht allezeit so darstellt, so liegt die Schuld an meinem dummen Verstande. Eine gewisse Offenbarung bestätigt dies mein Gefühl – tant mieux! sie sagt mir, das anscheinend und wirklich Böse, in der Welt, fang jetzt schon an und solle dereinst ganz aufgehoben werden, und das hab’ ich dem Sohne Gottes zu danken, ob nun seiner Lehre allein, oder auch wirklich seinem Verdienste (wenn anders, um von Gott nicht menschlich zu reden, bei Gott ein Verdienst statt finden kann, denn bei ihm ist alles Gnade), tant mieux! sage ich, das ist eine schöne frohe Botschaft (Evangelium); ich glaube sie herzlich gern und freue mich darüber und dies, denk’ ich, ist der Glaube, der mich selig machen soll und schon hier glückselig oder selig macht, denn diese beiden Wörter, denk’ ich, sind auch eins. So werden wir, denk ich, in dem Extrakt unserer Religion ziemlich nahe bei einander stehen. Freilich haben Sie in vielen Punkten, die ich mir unterstrichen habe, mich so unter sich gekriegt, daß ich mich kaum noch rühren kann, in andern bin noch in suspenso, als daß Gott gar nichts in uns wirken kann u. a. m., wovon ich mündlich mehr mit Ihnen zu reden hoffe.
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Das Eine bitt’ ich mir aus, nicht so verächtlich von dieser Welt zu sprechen. Sie ist gut, mein Gönner, mit allen ihren eingeschlossenen Uebeln, das Reich Gottes, wovon Christus immer red’t, ist nicht allein in jenem Leben zu hoffen, denn er selbst hat uns im Vaterunser beten gelehrt „dein Wille geschehe im Himmel, wie auf Erden“. Wenn’s Glück gut ist, bin ich noch immer ein heimlicher Anhänger vom tausendjährigen Reiche, wenigstens glaub’ ich gewiß, daß der Zustand unserer Welt nicht immer derselbe bleiben wird. Und christlich–physisches Uebel muß immer mehr drin abnehmen, wenn das Moralische darin abnimmt, und das wollt’ ich beinahe beweisen, wenn anders eine Seele, die immer entrechats macht, wie eine Närrin, in ihrem Leben jemals etwas wird beweisen können.
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– – Eine Lieblingsidee haben Sie, mein Theurer, und das freut mich, weil ich auch eine habe. So bin ich Ihnen doch in einem Stück ähnlich, denn, wenn es auf eine Aussicht in eine aneinanderhangende Reihe von Wahrheiten ankömmt, da kann ich mich mit Ihnen nicht messen. Wissen Sie worin unsere Lieblingsideell bestehn? Die Ihrige ist – die Liebe – und die Meinige, die Schönheit. Vielleicht stehn diese, beide, nahe bei einander, oder fließen gar zusammen – – wenn nur meine Brille schärfer wäre! So viel ist gewiß, daß die letztere die einzige Idee ist, auf die ich alle andern zu reduzieren suche. Aber es muß die echte Schönheit sein, die auf Wahrheit und Güte gegründet ist, und in der höchsten und faßlichsten Uebereinstimmung – der Henker mag sie definieren; ich fühle sie und jag ihr nach; freilich tritt sie mir noch oft hinter eine Wolke, aber ich werde sie einmal finden – diese allein kann mein Herz mit Liebe gegen Gott (die Schönheit in abstracto) und gegen alles was geschaffen (die Schönheit in concreto) füllen. Freilich so nach Graden, so wie die Schönheit selber Grade hat. Da haben Sie meine Brille – Ihre ist vortrefflich, aber ich kann noch nicht dadurch sehen, darum sind wir Individua. Genug, wir passen in das Ganze das Gott geschaffen hat und das ihm gefallt, so verschieden wie es ist, denn in der Natur sind keine vollkommene Aehnlichkeiten, sagen die Philosophen. Genug, ich fühle eine Affinität zu Ihnen, die ganz erschrecklich ist und obgleich ich die Lichtstralen, die Sie mir zuschicken, nicht mit den meinigen vereinigen kann, so mag ich sie doch gern damit verschwägern.
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Nun ist’s Zeit, daß ich vom Pegasus herabsteige, sonst wirft er mich ins Meer. Kaum hab’ ich so viel Athem Ihnen zu sagen, daß ich, zu der höchsten Uebereinstimmung der Welt das Zutrauen habe, daß sie mich nach Straßburg in Ihre Armen führen wird.
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-Lenz.
+Lenz.
Landau d. 10ten Dec. 1772.