prov=READ-COOP:name=TrHtr:version=2.16.0:model_id=51170:date=30_07_2024_14:45
2024-07-29T15:38:44.287+02:00
2024-07-30T14:45:56.008+02:00
22tes Stück. Montag, den 17. Merz 1766.
Zelle.
Hieselbst ist bey Gsellius ein Nachdruck von
zwo französischen Heroiden herausgekommen: Lettre
de Barnevelt dans sa prison a Truman und Lettre de
Zeila à Valcour. Dem französischen Autor hat der
englische Barnwell nicht genug gefallen, und die
große Züge, welche er nicht verleugnen kann scheinen
ihm Funken gleich, die sich im Rauchwirbel verlie¬
ren. Das Genie der Engländer ist ihm erhaben
und ungleich; das Genie der Franzosen sucht auf
der Bühne die geputzte Natur, aber eben daher,
giebt er zu, bringe dasselbe nicht solche Meisterstücke
des tragischen hervor, und könne sich mit dem Be¬
cher des Atreus nicht bekannt machen. Milwood,
welche dem französischen Zuschauer unausstehlich seyn
muß, wird also eine Fanny, mit welcher Barnwell
sich vermählen, und glückliche Tage zubringen will.
Allein sie verführt ihn zu dem Morde des Sare=
goods. Dennoch läßt er von seiner Zärtlichkeit nicht
ab, und ihre Reue ist der letzte Wunsch in seinem
Kerker. Fast sollten wir glauben, daß der Mord
des Saregoods eben so entsetzlich sey, als den Barn¬
well im englischen Original begeht; es mildert also
diese Erfindung nicht die Scene. Wenn Milwood
gerade zu gehet, und ihre Abscheulichkeit schnell bis
auf den höchsten Gipfel treibt; so verzehret eine Pa-
risersirene vielleicht etwas langsamer, aber doch
bis auf die Knochen. Das natürlichste was den eng-
lischen Verfasser in dem Character der Milwood ent-
schuldigen kann, ist dieses, daß er den Fortschritt der
Laster bis ans Blutgerüste führen, folglich damit ei¬
len, und die Urheberin desto abscheulicher vorstellen
müssen. Von dem Briefe des französischen Barn=
wells können wir weiter nichts sagen, als daß er vol¬
ler starken und rührenden Empfindungen ist; die
besten Züge aber von dem Englander entlehnet sind
und das übrige viel Gewäsche in sich enthält. Der
andre Brief ist die Geschichte des Inkle und der Va=
riko aus dem englischen Zuschauer, nur mit dem Un-
terschiede, daß Zeila aus Florida einem französischen
Officier folgt und von ihm in Constantinopel verlas-
sen wird, wodurch sie in Gefahr geräth, in das Se-
mail des Sultans zu kommen. Wenn man scherzen
wollte, so möchte man sagen, daß das ganze Geschrey
der Zeila sehr überflüßig sey, und daß wohl andre
Damen die bloße Neubegierde und die Lust zum
Wechsel, wie z. E. die berühmte Montague, bewo-
gen habe, türkische Sophas zu versuchen. Doch
Zeila solte eine Wilde seyn, und mehr Tugend und
Treue an sich haben. Der poetische Stil dieser
Briefe