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Halle.
„Der Christ am Sonntage; eine moralische
"Wochenschrift zur Beförderung des innerlichen Got¬
"tesdienstes am Tage des HErrn. Erster Theil.
gr. 8vo, 1764. 1 Alphab. 6 Bogen.” Die Herren
Verfasser halten eine Wochenschrift für ein sehr be¬
quemes Mittel zur Erreichung des auf dem Titel an¬
gegebnen Endzwecks. Sie wunschen sich am meister
fromme Leser; und schreiben vornehmlich für das
Herz. Der Inhalt jedes Blattes bezieht sich auf die
sonntäglichen Evangelien; aber die Einkleidung der
Wahrheiten soll freyer seyn, als in Kanzelreden —
Die Absicht ist gut und lobenswerth; und was die
Ausführung betrift, so finden wir wenig dabey zu
erinnern. Es herrscht in der Prose eine gewisse
Wohlredenheit; und die poetischen Ausarbeitungen
sind meistens gut; so daß in dieser Schrift auf schick¬
liche Art Geschmack und Erbauung verbunden wer¬
den; wiewohl es nicht scheint, daß alle eingeschaltete
Stücke eigne Arbeiten sind; wie wir denn im fünften
Blatte Cramers bekannte Ode auf die Geburt des
Erlösers finden — Indessen, unsre Meynung frey
zu sagen, wünschten wir nicht, daß die Herren Ver¬
fasser sich so gar weit, als sie in der Vorrede verspre
chen, von der exegetischen Richtigkeit (oder, wie sie
sie spottweise nennen, Aengstlichkeit) entfernen möch¬
ten. Es kleidet in unsern Zeiten einem Lehrer der
Erbauung sehr übel, wenn er seine Ermahnung auf
falsche Auslegungen baut. Zu dieser Erinnerung be¬
wegen uns die umschriebnen Psalmen, die in diesem
Theile vorkommen, und von denen wir etwas aus¬
führlicher reden wollen — Zuerst stehen im 6. Blat¬
te der 65. und 67. umschrieben; welche ziemlich wohl
gerathen sind; jedoch nicht ganz. Ps. 65, v. 9.
„Die Herzen deiner Kinder beym Aufgange und Nie¬
"dergange der Sonne erfreuest du. Wir glauben,
daß hier die Worte deiner Kinder eingeflickt,
und nicht dem Sinne des Textes gemäß sind, der
überhaupt von allen Bewohnern des Aufgangs und
Niedergangs redet. V. 10. "Wenn du das Land be
suchest, so wird es gewässert. Es wird in der
Uebersetzung nicht ausgedrückt, daß hier die Rede vom
jüdischen Lande ist, zu dem sich nun der Prophet wen¬
det. pw das man durch wässern giebt, hat diese
Bedeutung in Piel nicht. "Du bereitest uns Ge¬
treyde, und befestigest es in seinem Boden. Wir
wunderten uns erst, warum von GOtt die Befesti¬
gung des Getreydes als eine Wohlthat gerühmt wird,
da seine Wurzel eben keine besondre Festigkeit hat,
sondern nur so viele als sie bedarf, wenn ein ganzes
Heer von Hälmern einander wechselsweise stützen soll.
Doch vielleicht, gedachten wir, hat der Verf. ganz be¬
sondre palästinische Nachrichten, daß etwa dort zu
Lande das Getreyde stammhaftere Wurzeln schlüge.
Allein im Texte finden wir, daß der Verfasser nicht
beobachtet hatte, daß z männlichen Geschlechts ist,
und also das suffixum fomininum darauf nicht gehen
könnte, sondern auf y. V. 12. ”Ja, HErr, du
„krönst das Jahr des Segens, und die Fußstapfen
"desselben triesen von Gutem. Hier ist abermals
das suffixum vernachläßigt, und von Fußstapfen des
Jahrs geredet worden, da es doch heißt: orbitae
tuae. Im Texte steht: "deine Fußtritte triefen von
Fettigkeit.”
Das letzte Wort wird hier sehr
matt und unbedeutend durch Gutes ausgedrückt -
Ps. 67. In diesem Psalm wird der 4. V. noch ein¬
mal mit den nämlichen Worten wiederholt, V. 6. Es
ist eine Art von feyerlichem Ausspruche, dessen Wie¬
derholung eine sehr gute Wirkung thut; wie unge¬
fähr bey dem lateinischen Dichter der Vers
ducite ab vrbe domum, mea carmina, ducite
Daphnim.
der abermals in der Folge der Ekloge wiederkömmt.
Wir würden diesen 4. V. etwa so übersetzen:
"Dich, GOtt, werden die Völker loben; die Volker
Die Schönheit liegt hier in der
"alle dich loben.
Wiederholung; folglich müssen die Worte sorgfältig
beybehalten werden. Der Uebersetzer aber hat sich
nicht daran gekehrt. Das eine mal giebt er nyn
bekennen, das andre mal danken, das vierte
mal rühmen; wodurch denn die Stelle völlig dem
Texte unähnlich wird. Im sechsten Verse wird noch
ohn alle Nothwendigkeit sagend eingeflickt, wodurch
die Worte V. 7., die nur der Prophet sagt, allen Völ¬
kern in den Mund gelegt werden — Doch diese bey¬
den Psalme sind noch vortreflich gerathen gegen den
22. im 20. Blatte, dessen Umschreibung so gedehnt, so
so matt, so abweichend von dem Texte ist, daß aller Nach¬
druck der Urkunde darüber verloren geht. Wir ha¬
ben immer geglaubt, Paraphrasen hätten vornehm¬
lich den Endzweck, den Sinn aufzuhellen, die ellipses
zu ergänzen, und dem Verstande eine gewisse Voll¬
ständigkeit und Verbindung zu geben; nicht aber ganz
fremde Einfalle einzuschieben, an die der Schriftver¬
fasser nicht gedacht hat, die mit seinen Begriffen nichts
zu schaffen haben, und oft gar denselben entgegen sind.
Wenn diese Art zu paraphrasiren gelten sollte, so wä¬
re es nicht schwer, durch Hulfe des Witzes aus einem
Texte alles, was man nur will, zu machen. Ueber¬
haupt ist hier der ganze Psalm in eine unrichtige, all¬
zubesondere Situation gezwungen worden, daß er des
Erlösers Gesinnungen am Kreuze ausdrü¬
cken soll. Nun ist es wahr, er redet vom Leiden
Christi; er gedenkt sogar einzelner Umstände, die
Christus nicht anders als am Kreuze erwähnen konn=